Eustaff

Nächlichers Treffen in Koblenz zur Übergabe des „Staffelholzes“

Ich hab 3 Tage Zeit und will am Rhein lang fahren. Wie würdest Du fahren, fragte mich mein Sohn neulich. Klare Antwort: Auf jeden Fall in einer lauen Sommernacht bei Vollmond von Koblenz Rheinaufwärts. So wie damals bei der Eustaff. Aber wie sind wir damals gefahren? Mal schnell im Kleiderschrank gesucht, da muss doch irgendwo noch das Eustaff-T-Shirt mit dem Streckenverlauf sein. Wusste ich’s doch: Eustaff 2000 von Biel in der Schweiz nach Aalborg in Norddänemark. Die Fahrkarten zum Startort und nach der Fahrt wieder zurück zahlten wir noch in DM, das Internet war zwar aus dem gröbsten raus, aber nette Webmaste wiesen auf große Dateien mit langen Downloadzeiten hin. Mit Handys telefonierten wir, für den Terminkalender hatten die Nerds einen Palm und Navis? Gab es schon Navis? Höchstens auf Segelbooten.

Damals las ich in der Info-Bull das für das Projekt Eustaff Fahrer gesucht würden. Kurz entschlossen meldete ich mich und sagte, das ich mitmachen wollte. Irgendwann meldete sich Frank aus Marburg erzählte etwas genaueres über die geplante Strecke und was so in etwa geplant war. Der höhere Sinn und Anspruch des ganzen war mit eigentlich egal. Ich fand die Idee cool, irgendwo einen Staffelstab entgegenzunehmen, 100 km zu fahren und dann den Stab weiterzureichen. Ich kannte bis dahin keine anderen Liegeradfahrer persönlich und sah in der Eustaff ein Möglichkeit, andere Verrückte kennen zu lernen. Heute wird das Netzwerken genannt.

Wie gesagt, waren NAVIS noch nicht so bekannt und wir machten uns erstmal auf den Weg bei einer Probefahrt den Weg abzuchecken. Wir wollten schließlich auch zeigen, das wir mit unseren Liegerädern schnell unterwegs sind. Irrfahrten, Sackgassen und Umwege wären eher peinlich gewesen. Nie vergessen werde ich, wie wir irgendwo am Rhein von einer Zivilstreife angehalten wurden, weil wir auf der Straße fuhren und nicht auf dem übervollen Rad und Fußweg. Eine halbe Stunde diskutierten wir mit den Herren bei 30° im Schatten in der prallen Sonne. Nein, Sie müssen auf dem Radweg fahren, auch wenn es keinen Sinn macht. Vorschrift ist Vorschrift. Wir erzählten von der Eustaff und das wir trainieren. Dann könnten wir uns ja eine Ausnahmegenehmigung hohlen. Die Diskussion wurde immer Absurder, auch weil wir ständig auf die Radfahrer hinwiesen, die in der Gegenrichtung unterwegs waren. Nichts zu machen. Also fuhren wir auf dem Radweg, warteten bis die Streife außer Sichtweite war und setzten unsere Fahrt auf der Straße fort. Diese Eustaff verlief dann für uns ohne nennenswerte Störungen.

2001


2001 war dann eher eine Katastrophentour. Thomas‘ Verkleidung verlor auf der holprigen Radwegen entscheidende Schrauben. Er hätte, wenn möglich, sicher die ganze Verkleidung abgerissen, in die Ecke geworfen und wäre weitergefahren. Die restlichen Schrauben waren aber fest und eine Axt nicht zur Hand. So beschlossen Fabian und ich alleine weiter zu fahren. Dummerweise hatte ich mir einen Pulsmesser zugelegt. Immer wildere Werte standen auf dem Display. Waren arbeiten, Haus bauen und Kinder großziehen doch etwas viel gewesen? Im Nachhinein betrachtet war es wahrscheinlich nur die Oberleitung der parallel verlaufenden Eisenbahn, die die Elektronik durcheinander brachte und des öfteren einen Puls jenseits der 220 anzeigte. Egal, ich entschied mich langsamer weiter zu fahren, Fabian kämpfte sich dann bei strömenden Regen alleine durch und brachte das Staffelholz in einer guten Zeit allein nach Koblenz. Immerhin war der Übergabeort der Parkplatz einer Brauerei. Aber wahrscheinlich war die, passend zum Tag, geschlossen.

2002

Eine Erkenntnis war zumindest, das meine Streetmashine keine Rennmaschine war. Ein wunderbares Tourenrad, aber sie federt zu stark ein, liegt zu hoch und außerdem juckte es irgendwie und was neues muss her. Ich investierte in ein ZOX: 20 cm über der Erde, Frontantrieb. Da konnte nur fliegen schöner sein. Zum Glück bestellte ich es rechtzeitig: Ein Tag vor dem Urlaub spürte die Streetmashine wohl den heißen Atem des Verfolgers. Aufgrund meiner 196 cm Körperlänge war der Rahmen 2 cm zu weit auseinander gezogen und brach nach vielen Jahren und Kilometern. Der Urlaubsstart wurde um einen Tag verschoben, das Rad fahrfertig gemacht und mit nach Schweden ins Trainingslager genommen.

Zurück zur Eustaff. Diesmal sollte sie andersrum von Nord nach Süd verlaufen. Also wieder kein Bier am Zielort. Und dann noch mitten in der Nacht? 120 km? Ein Blick in den Kalender versprach dann doch noch ein tolles Erlebnis: Vollmond. Und alles passte: Eine laue Sommernacht bei klarem Himmel. Fabian hatte die „Erlaubnis“ mitzufahren obwohl er 6 Tage später Vater werden sollte. Für den Fall der Fälle fuhr Thomas im Auto mit, um ihn notfalls sofort in den Kreißsal zu fahren. War zum Glück nicht nötig.
Die Idee, uns in den Windschatten des Begleitfahrzeuges zu hängen, ließen wir ganz schnell fallen: Erstens unfair, zweitens laut, drittens stinkig. Selbst hinter uns hat das Auto genervt. Also fuhr Thomas vor und hielt uns die Kreuzungen frei. So konnten wir durch die Nacht brettern. Wie schnell wir waren, wussten wir nur in den Ortschaften da es noch keine Tachos mit Beleuchtung gab. Wozu auch? Aber auch unter Straßenlaternen war das Tachoablesen ein Kunststück: Bei 35 km/h ist die Zeit direkt unter der Laterne verdammt kurz, davor verschattete er sich selbst, danach verschatteten wir ihn. War aber auch nicht so wichtig. Die langen, geraden Straßen „zogen“ uns, die Kurven waren so lang, dass wir kaum langsamer wurden. Hier spielten die Liegeräder, neben Ihrer besseren Aerodynamik, ihren größten Vorteil aus: Statt bei hohen Geschwindigkeiten das Vorderrad anzustarren, hatten wir freien Blick auf den im Mondschein glitzernden Rhein, die Burgen oben auf den Bergen stachen gegen den Himmel. Und kaum war man einer vorbei, kam die nächste. Windschatten fahren und kreiseln funktionierten wie im Schlaf, doch dafür war viel zu viel Adrenalin im Kreislauf. Ohne Frage, das war die Fahrt meines Lebens. Kurz vor Guntersblum riefen wir in der „Zentrale“ an und meldeten unser Ankunft. Bei Sonnenaufgang übergaben wir die Grußbotschaft an die nächste Gruppe und ließen uns erstmal auf die Straße fallen. Kaputt und Glücklich!
18 Jahre später bin ich die Strecke mit meiner Frau von Koblenz nach Mainz noch einmal gefahren. Zwar tagsüber und elektrisch unterstützt, aber sie hatte nicht von Ihrem Reiz verloren. Und nächstes Jahr dann noch einmal bei Vollmond.

2003

2003 erlebte ich dann die Eustaff aus einer ganz anderen Perspektive: Urlaubsplanung war auf die Liegerad-WM im Bodensee abgestimmt und die Anmeldung kurz vor Feierabend abgeschickt. Auf dem Heimweg wurde ich übermütig, fuhr zu schnell in eine Kurve, das Hinterrad rutschte weg. Die Bordsteinkante beendetet die Rutschpartie. Es war etwas schwierig aus den Klickpedalen zu kommen. Seltsame Schmerzen. Irgendwie war mir klar, das es besser wäre, den Besenwagen anzurufen, Wozu hat man 500 g Handyelektronik in der Satteltasche? Doch anstatt zu warten und mir aus der gegenüberliegenden Metzgerei Eis zu holen, oder zumindest ein kaltes Steak, setze ich mich wieder auf´s Rad und fuhr meiner Frau entgegen. Schließlich wollten wir an dem Tag noch Sofa kaufen. Als ich dann endlich anhielt, bekam ich den Fuß überhaupt nicht mehr aus den Klickis. Einzige Möglichkeit: Schuhbänder aufmachen und Schuh ausziehen. Einbeinig humpelnd half ich noch das ZOX in den Kofferraum zu legen und dann ging es statt ins Möbelhaus direkt ins Krankenhaus. Nach dem Röntgen sagte schon der Blick des Arztes: Das sieht nicht gut aus. War dann auch nix: Weber C Fraktur im linken Sprunggelenk, 10 Wochen keine Belastung. Also keine WM und keine Eustaff. Aber irgend wer fragte mich dann, ob ich nicht für den deutschen Teil die Staffelzentrale machen könnte. Klar kein Problem. Regelmäßig riefen die Gruppen an und meldeten ihren Standort. Ich rief dann wiederum die Nachfolgenden Gruppen an, sich bereit zu machen. WhatsApp und Instagram gab es noch nicht, aber einer der Webmaster des HPV hatte ein kleines Tool gebaut, mit der wir Eustaffler unsere Berichte zur Staffel auf die Webseite des HPV hochladen konnten. Leider sind sie der letzten Überarbeitung zum opfer gefallen, ich werd mal schauen, ob sie noch in irgendeinem Archiv auffindbar sind.

Danach war es für mich mit der Eustaff dann vorbei. Wieder eine Grußbotschaft durch die Gegend zu fahren fand ich nicht so spannend, eine andere Strecke ergab sich nicht . Spätestens die Idee, 5 kg Kartoffeln durch die Gegend zu fahren, fanden wohl die meisten zu abstrus und die Sache verlief sich irgendwie. Aber es entstand auch etwas neues: Getrieben von dem Wunsch, mal mehr als eine Minute mit den anderen Fahrern zu sprechen, trafen wir uns einige Jahre bei Hanno in Karlsruhe immer am Vorabend der Spezi. Bei herrlich viel Bier und vietnamesischem Essen unterhielten wir uns nicht nur über Liegeräder.

2005 gab es dann die letzte Eustaff, an der ich aber nicht mehr teilnahm. Interessant finde ich die Schokoladenfahrten. Dort wird Kakao aus Übersee mit dem Segelschiff nach Amsterdam gebracht, zu Schokolade verarbeitet und mit Fahrrädern abgeholt und verteilt. Vielleicht können wir uns ja hier mal wieder einklinken. Ein Gruß an alle Eustaffler!